Mai 2020 (Weinheimer Nachrichten) Gespräch mit Wolfram Schmidt über „Cantus Vivus“, digitale Chorproben und das Konzert-Projekt „Leidenschaft“ / Premiere im Oktober geplant
Weinheim. Es sind stets hohe Ansprüche, die Wolfram Schmidt an seinen 80-köpfigen Konzertchor „Cantus Vivus“ stellt. Zum Beispiel Spannung und Entspannung bis an die Grenzen auszuloten, ist nur mit aufwendigen Vorbereitungen und zeitintensiven Proben möglich. Als eine Durststrecke, wie es sie noch nie gab, bezeichnet der leidenschaftliche Chor-Pädagoge die momentane
Kontaktsperre durch die Corona-Krise.
Bei einem Konzertchor, der bei jedem Projekt auf das große Live-Ereignis hinarbeitet, ist es besonders tragisch, auf das gemeinsame Einstudieren verzichten zu müssen. „Es geht ja in den Proben nicht nur um Notenbeherrschung und Textsicherheit“, betont Wolfram Schmidt, „da ist vor allem der Ausdruck, die gemeinsame Gestaltung von Dynamik und Phrasierung, die Intensität der Interpretation. Kurz: All das, was letztendlich die Faszination eines Chorkonzertes dieser Klasse ausmacht“. Die wöchentlichen Proben im Musiktheater der Dietrich-Bonhoeffer-Schule, in der Schmidt als Gymnasiallehrer tätig ist, werden von den Chormitgliedern schmerzlich vermisst. Das Hochladen von Übungs-Dateien auf die Dropbox wird zwar schon jahrelang verwendet, ebenso eine neu erstellte digitale Pinnwand. Doch auf die elektronischen Hilfsmittel ersetzen keine gemeinsame Chorprobe, um die für „Cantus Vivus“ gewohnte wuchtige und einprägsame Dynamik, eben die „Konzertreife“ zu erreichen, die das Publikum bei jeder Aufführung zu minutenlangen Beifallsstürmen hinreißt.
Erste Online-Probe via Zoom
Am Donnerstagabend fand nun die erste Online-Probe über Zoom statt, ein „Versuch“, wie Wolfram Schmidt das digitale Einstudieren bezeichnete. Er sprach danach von einer „sehr schönen Erfahrung“, sich endlich mal wieder in Chorstärke zu hören und zu sehen. Es konnte sogar ein neues Stück für das aktuelle Konzert einstudiert werden. Alle waren begeistert, trotz der technischen Einschränkungen durch die unterschiedliche Stabilität des Internets und die damit verbundene Zeitverzögerung. Im Vordergrund stand, sich endlich mal wieder zu sehen, zu motivieren und kommunikativ auszutauschen. „Ich konnte auch Fragen beantworten und die einzelnen Stimmen korrigieren.“ Genauso muss wohl notgedrungen weiter verfahren werden, es sei denn, die Kontaktsperre wird in den nächsten Wochen aufgehoben. „Es wird unter den erschwerten Bedingungen nicht einfach sein, den Stoff für unser neues Projekt zu erarbeiten. Weitergehen muss es jedoch irgendwie“.
Am 10. Oktober ist die Premiere seiner neuen Inszenierung in der Evangelischen Stadtkirche Weinheim und am 11. Oktober in der Evangelischen Christuskirche in Heppenheim vorgesehen, vorausgesetzt die Maßnahmen lassen es zu. „Leidenschaft – Musik“ lautet diesmal das Motto. Es geht dabei um die tragische Dreiecksbeziehung von Robert und Clara Schumann mit Johannes Brahms. Wolfram Schmidt hat das Drama intensiv und poetisch gestaltet. Er beschreibt sein neuestes Werk als Symbiose von weltlichen Chorklängen und Kammermusik mit Klavier – und Streichquartett.
Mit Absicht hat sich der Chorleiter dieses Mal statt des sonst üblichen Sinfonieorchesters für die weniger kostenintensive Kammer-Formation entschieden. „So ist das Risiko im Falle einer Konzertabsage nicht ganz so hoch“. Bei der Aufführung im Oktober rezitiert die Weinheimer Schauspielerin und Kabarettistin Katja Hoger ausdrucksstarke Texte aus der Perspektive von Clara Schumann. „Es wäre schön, wenn das hochkarätige und vielfältige Konzerterlebnis zum vorgesehenen Termin starten könnte“.
Ob der Dirigent auch mit einem „Geisteikonzert“ als Livestream einverstanden wäre? „Wenn es denn sein muss, allerdings wäre das nu ein schwacher Ersatz für die Schwingungen, Emotionen und die Intensität, die nur mit einem Live-Publikum möglich ist“, sagt Wolfram Schmidt“. rav
Die Mitglieder von „Cantus-Vivus“ können ihren Chorleiter Wolfram Schmidt nur auf digitalem Weg sehen und hören. Viele von ihnen vermissen die Proben im Musiktheater der Dietrich-Bonhoeffer-Schule schmerzlich. BILD: PRIVAT