Juni 2020 (Weinheimer Nachrichten) Über 200 Mitwirkende arbeiten vier Monate lang auf „Glasnost“-Premiere zu
Weinheim. Als die erste von insgesamt 38 Proben zu „Glasnost“ am 11. Februar 1995 über die Bühne ging, lagen bereits aufregende Monate hinter den Hauptinitiatoren. Projektleiter Volker Schneider und Texter Werner Wiegand blies in Schulkonferenzen und öffentlichen Schreiben heftiger Wind entgegen. Der Inhalt von Wiegands Geschichte, die sich mit der politischen Umwandlung der UdSSR unter Michail Gorbatschow und seiner Politik von Glasnost und Perestroika beschäftigte, fanden Kritiker zu klischeehaft und Ressentiments schürend.
Nachdem allerdings der Landesmusikrat Baden-Württemberg von einem interessanten und pädagogisch sehr begrüßenswerten Projekt gesprochen und das Staatliche Schulamt Heidelberg grünes Licht gegeben hatte, kam ein Gemeinschaftsprojekt ins Rollen, das heute als ein Generationen-Coup bezeichnet werden kann, der das damalige kulturelle Potenzial einer Stadt und ihrer Region voll ausschöpfte, Netzwerke bildete und Kräfte bündelte, wie man es vorher in diesem Maße noch nie erlebt hatte.
Interessant ist ein Blick auf eine Statistik, die Werner Wiegands dokumentarisches Nachschlagewerk „Glosnost-Rückblende“ in Buchform enthält. 47 Prozent der über 200 Mitwirkenden aus Schulen, Vereinen, Ballettstudio oder Musikschule waren zwischen 11 und 20 Jahre alt, 17 Prozent zwischen 21 und 30 Jahre alt und nur 9 Prozent zwischen 51 und 70.
Bei den Proben, die in der Grundschulturnhalle in Rittenweier und im inzwischen abgerissenen ehemaligen Verwaltungsgebäude des Freudenberg-Fuhrparks im Müllheimer Tal stattfanden, übertrug Regisseur Hans Todt seine Freude und Leidenschaft für das Theater auf die ihm anvertrauten l.aiendarsteller. Ein Zahnrad griff ins andere. Die Eigendynamik tat das Übrige, und bei der Uraufführung am Samstag, 17. Juni 1995, wurde der minutenlange Schlussapplaus in der Stadthalle zum Startschuss für weitere „Glasnost“ -Aktionen.
Sie gipfelten in der nach wie vor außergewöhnlichen Tatsache, dass im März 1996 das gesamte Ensemble mit Begleitpersonen eine Einladung nach Moskau annahm und zu zwei Vorstellungen in die russische Hauptstadt flog. Das Musical, getragen von eingängigen, heiteren wie melancholischen Kompositionen des Weinheimers Fritz Metz, war bis zur letzten von 15 Vorstellungen im Juni 1998 von insgesamt 12 000 Besuchern gesehen und stets gefeiert worden. Viele der Lieder wie „Zirkusgeschichten“ oder „Heimat, wir kommen wieder“ sind noch heute im Ohr. dra
Bei der Moskau-Reis mit zwei Glasnost-Aufführungen entstand im März 1996 dieses Bild vor der Basilius Kathedrale auf dem Roten Platz. Von links: Projektleiter Volker Schneider, Sängerkreis-Vorsitzender Philipp Ott, Schulamtsdirektor Hans Förderer, Kuno Schnader vom Kuratorium Russland und Deutschland im neuen Europa, Hartmut Benzing vom Kultusministerium Stuttgart, Oberbürgermeister Uwe Kleefoot, Regisseur Hans Todt und Komponist Fritz Metz. BILD: JÜRGEN DRAWITSCH