Weinheim Sängerkreis – Für kleinere Vereine „existenzbedrohend“

Juni 2020 (Weinheimer Nachrichten) Vorsitzender Rudi Neumann teilt Sorgen und Ängste der Chöre / Schreiben an Politiker

 

Bergstraße. Die aktuellen Ängste der traditionellen Gesangvereine sind auch die Sorgen von Rudi Neumann. Der Vorsitzende des Sängerkreises Weinheim steht in diesen Wochen im ständigen Kontakt mit den Vereinsvertretern und leitet auch Informationen des Deutschen oder Badischen Chorverbands im Zusammenhang mit den Corona­-Verordnungen weiter. Auf Verständnis stoßen diese an der Basis aber bei Weitem nicht immer.

„Meine persönliche Meinung ist, dass das vom Badischen Chorverband empfohlene Hygienekonzept von den Vereinen nicht umsetzbar ist“, sagt Neumann. „Ich sehe nicht, dass es unter diesen hohen Auflagen funktionieren kann. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sich ein Vorsitzender diesen Schuh anziehen will und das Risiko eingeht.“

Neumann rechnet frühestens im Oktober oder November mit einer Wiederaufnahme des Singstundenbetriebs. Zumal auch er um das Infektionsrisiko durch die beim Singen auftretenden Aerosole weiß. „In Berlin hat ein 80-Mann-Chor gesungen. Obwohl zwischen jedem Sänger 2,50 Meter Abstand eingehalten wurden, waren nach diesem Auftritt 60 Chormitglieder inklusive des Dirigenten krank“, macht Neumann die Problematik deutlich.

Aus Gründen des Gesundheitsschutzes werden die Chöre also noch für eine lange Zeit weder proben noch öffentlich auftreten dürfen. Das verschärft die ohnehin schon angespannte finanzielle Situation für viele der insgesamt 33 Vereine und 58 Chöre im Sängerkreis Weinheim. „Gerade für die kleineren Vereine mit relativ wenigen Mitgliedern ist das Ganze schon existenzbedrohend“, sagt Neumann. „Laufende Kosten wie etwa Raummieten und Dirigentengehalt fallen weiterhin an, aber die nötigen Einnahmen durch Veranstaltungen oder Konzerte fehlen.“

Appell an Abgeordnete

Mit Blick auf diese Notlage hat Neumann nun die Initiative ergriffen und die Bundestagsabgeordneten Dr. Karl A. Lamers (CDU) und Lothar Binding (SPD) sowie die Landtagsabgeordneten Uli Sckerl (Bündnis 90/Die Grünen), Julia Philippi (CDU) und Gerhard Kleinböck (SPD) direkt angeschrieben und um eine Stellungnahme gebeten.

In seinem Appell geht Neumann neben den finanziellen Problemen auch auf das aktuelle Fehlen der sozialen Aspekte, der Geselligkeit und des direkten Austauschs der Chormitglieder untereinander ein. „Überall gibt es Hilfsprogramme, teilweise auch für die Sportvereine, aber eben nicht für die Gesangvereine, also die alten Kulturträger. Gespräche mit Gemeinden, dem Badischen und Deutschen Chorverband haben bisher nichts gebracht, und daher müssen wir jetzt aktiv werden und für unsere Sache kämpfen“, heißt es in Neumanns Schreiben. „Wir stehen am Abgrund und auch am Scheideweg.“

Vier der fünf angeschriebenen Politiker haben darauf geantwortet. Uli Sckerl bot ein Telefonat an. „Auf dieses Gespräch warte ich aber noch immer“, erklärte Neumann. Dr. Karl A. Lamers schrieb zurück, dass er das Thema an den Staatssekretär im Bundesministerium für Kultus, Jugend und Sport weiterleiten werde. Das Büro von Lothar Binding schickte einen Link mit Hinweisen zu Soforthilfe-Programmen in Corona-Zeiten. „Darin geht es aber nur um Zuschüsse für freischaffende Dirigenten, auf die Gesangvereine trifft das überhaupt nicht zu“, meint Neumann (Archivbild: Marco Schilling). Julia Philippi versprach, sich auch in der Rolle als Kultursprecherin ihrer Landtagsfraktion um die Angelegenheit zu kümmern, und schickte auch eine CDU-Pressemitteilung mit. Darin steht: „Es geht nicht um schnelle Öffnungen, sondern um einen Fahrplan, wie das kulturelle Leben im Musikland Baden-Württemberg gerettet werden kann.“ Vorgeschlagen wird die Einrichtung eines Lenkungskreises mit Vertretern der Landesregierung sowie Vertretern möglichst aller Musikbereiche. Und Gerhard Kleinböck antwortete: „Ich setze mich auf Landesebene dafür ein, Gesundheitsschutz und gesellschaftliches Leben – wann und wo immer möglich – rasch wieder in Einklang zu bringen.“

Absagen im Sängerkreis

Auch der Sängerkreis Weinheim selbst sei von den aktuellen Maßnahmen betroffen, verdeutlicht Neumann. So mussten der Kreissängertag in Laudenbach und das geplante Chorfest in Kooperation mit dem Sängerkreis Weschnitztal-Überwald jeweils kurzfristig abgesagt werden. Im Odenwälder Kreis soll nun im nächsten Jahr ein Chorfest stattfinden – hofft Neumann. bk