Weinheim Sängerkreis – Katastrophale Zeit für Kultur

Juni 2020 (Weinheimer Nachrichten) Im Gespräch: Chorleiter Meinhard Wind vom Musikausschuss des Sängerkreises Weinheim

 

Berqstraße. Es ist für die ganze Kulturlandschaft eine mega-anstrengende und katastrophale Zeit“. Meinhard Wind (Archivbild: Sascha Lotz), Mitglied des vierköpfigen Musikausschusses im Sängerkreis Weinheim, sieht auch auf die traditionellen Gesangvereine große Probleme durch die für Chöre extremen Einschränkungen in Corona-Zeiten zukommen. Unsere Lokalredaktion sprach mit dem Heddesheimer, der selbst Dirigent beim Gemischten Chor Voice Art Gorxheimertal, bei der Sängereinheit Viernheim und beim Gesangverein Neckarhausen ist und zudem die Jugendchöre der Sängereinheit Leutershausen und den Schulchor Gorxheimertal leitet.

Herr Wind, die meisten Chöre müssen noch sehr lange auf die nächste Singstunde warten.

Meinhard Wind: Aerosole (feine Partikel, die länger in der Luft schweben, Anm. d. Red.) steigern nachweisbar das Risiko einer Infektion. Beim Singen können Tropfen aus dem unteren Lungenbereich kommen, die sechs bis sieben Meter durch die Luft schwirren können. Daher besteht beim gemeinsamen Singen die Gefahr, dass nur ein Infizierter eine ganze Mannschaft flachlegen kann. Dafür gab es auch schon Beispiele. Und gerade bei den Laienchören gibt es viele ältere Sänger, die ohnehin zur Risikogruppe gezählt werden.

Der Badische Chorverband hat in seinen Empfehlungen auch sehr hohe Hürden für die Wiederaufnahme von Chorproben gestellt.

Wind: Das ist vom Verband sicher gut gemeint, aber für Laienchore ist das so nicht umsetzbar. Das fängt schon bei der Abstandsregel an: Viele Sänger brauchen den Menschen neben sich, um überhaupt einen Chorklang bilden zu können. Der zerreißt aber bei zu großem Abstand und verunsichert die Sänger zusätzlich.

Können zumindest kleinere Chöre bald wieder beginnen?

Wind: Sofern der Probenraum groß genug ist, wäre für Chöre bis 18 Sänger testweise vielleicht noch vor der Sommerpause ein Wiedereinstieg möglich. Ob das aber unter den empfohlenen Maßnahmen etwas bringt, steht auf einem anderen Blatt. Für größere Chöre ab 25 Sänger sehe ich noch für längere Zeit kaum eine Chance.

Bilden „virtuelle Singstunden“ eine Alternative?

Wind: Das ist eine nette Idee, lässt sich bei den meisten Laienchören aber nicht umsetzen. Da muss jeder für sich ganz allein singen, und es fehlt die gewohnte Atmosphäre zu den Chorpartnern. Da brechen sehr viele Sänger schnell wieder ab.

Eine andere Möglichkeit ist, Singstunden getrennt nach Stimmen abzuhalten, beispielsweise Tenöre oder Bässe, Sopran oder Alt.

Wind: Das ist sicher machbar. Aber das soziale Miteinander, das eine wichtige Komponente beim Singen darstellt, geht dabei teilweise doch verloren. Für Sänger spielt es eben auch eine bedeutende Rolle, mit Gleichgesinnten zusammenzusitzen. Dieser Aspekt darf nicht unterschätzt werden, wenn man versucht, Stimmgruppen voneinander zu trennen.

Vermissen Sie Unterstützung aus der Politik für das Chorwesen?

Wind: Die Chöre stehen vor extremen finanziellen Problemen. Als eingetragener Verein können sie eigentlich keine Hilfe beantragen. Veranstaltungen und Konzerte fallen aus, die Einnahmen brechen weg. Auf der anderen Seite bezahlen die meisten Vereine ihre Dirigenten auch ohne Singstunden weiter. Wenn es mit dem Singen erst im Jahr 2021 wieder losgehen sollte, ist es bei vielen Vereinen fraglich, ob es überhaupt noch weitergehen kann. Ich würde mir daher eine finanzielle Unterstützung für die Vereine wünschen.

Das klingt insgesamt alles doch recht pessimistisch.

Wind: Persönlich sehe ich ein Glas eher halb voll als halb leer. Ich hoffe weiterhin, dass wir im Herbst vielleicht starten und gemeinsam den Singstundenbetrieb wieder aufnehmen können. Wenn alles gut läuft, hätten wir dann viel nachzuholen – und das Jahr 2021 könnte tatsächlich zu einem „Jahr der Konzerte“ werden (lacht). bk