Juni 2020 (Weinheimer Nachrichten) Heute vor 25 Jahren erlebte das Weinheimer Musical von Texter Werner Wiegand und Komponist Fritz Metz seine Uraufführung / Junge Mitwirkende von damals erinnern sich
Von Jürgen Drawitsch
Monatelang haben sie geprobt. Gleich hebt sich zur Uraufführung von ,,Glasnost“ der Vorhang. Bei Nadine, Marco, Jasmin und Oliver steigt die Spannung – heute auf den Tag genau vor 25 Jahren.
Nadine Bitsch hat noch etwas Zeit, bis sie an der Reihe ist. Die Neunjährige besucht die dritte Klasse an der Grundschule in Rittenweier. Dass sie im kleinen Schulchor überhaupt bei „Glasnost“ mitmachen kann, verdankt sie dem Schulleiter, denn ein Schuljahr zuvor hatte die Musiklehrerin Nadines Gesangstalent für nicht ausreichend befunden. Ganz anders war es bei Uli Schilling. Er hatte nicht nur ihre Stimme für gut befunden. Die Mädchen und Jungen kamen immer sehr gerne zu den Proben in die Schulturnhalle, wo sie der Schulleiter immer um sich herum scharte und die ganze Zirkusszene in allen Nuancen mit ihnen durchspielte.
Uli Schilling ist dann nicht mehr Herr Schilling, sondern ein Clown, von dem Iwan, eine der Hauptfiguren in „Glasnost“, träumt. Der Clown erzählt Geschichten, die sich unterm großen Zirkuszelt ereigneten, spannende Geschichten, welche die Kinder mit Aaaahs und Ooooohs begleiten, ehe sie laut singen „Zirkusgeschichten, die schönsten dieser Welt“. Jetzt spielt Nadine vor dem hinteren Eingang der Stadthalle noch Ball. Natalie, Eva-Maria oder Juliana, Freundinnen schon aus Kindergartenzeit, sind auch dabei. Mit ihnen hat Nadine Schollenberger, heute selbst Mutter von zwei Kindern und Studienrätin an einem Gymnasium in Bruchsal, noch immer Kontakt. Vergangene Woche hat sie sich das „Glasnost“-Buch von Werner Wiegand besorgt. „Die Lieder von Fritz Metz sind fast alle noch im Ohr“, sagt sie.
Dann müssen die Kinder das Ballspiel beenden. Ehe sie auf die Bühne kommen, geht es noch kurz zur Maske, um sich ein bisschen Schminke und Rouge abzuholen. Da sitzt auch der Clown. Wüssten sie nicht, dass es ihr Schulleiter ist, würden sie den wie Marcel Marceau geschminkten Herrn Schilling wohl kaum erkennen.
In der Stadthalle läuft die Vorstellung. Links von der Bühne hat das Orchester der Musikschule Badische Bergstraße Platz genommen. Hansjörg Korward dirigiert. Dass die erste Querflöte von Christopher Freibug Unterstützung erfährt, hat er Jasmin Stefan zu verdanken. Für die 17-Jährige ist es der erste große musikalische Einsatz. Zuhause machte sie sich mit der Partitur vertraut. Viele Proben mit dem gesamten Orchester gab es nicht, aber bei der Generalprobe hatte es schon geklappt, um im dritten Akt des Musicals, wenn Ferenc „Szegediner Nächte“ besingt, kommt auch ihr Freund Marco auf die Bühne.
Der Zwanzigjährige sitzt noch im hinteren Bühnenbereich ruhig auf seinem Stuhl, fährt meditativ herunter, während Daniel Krusch, ein anderes Mitglied der Chaoten-Gruppe, sich mit Metal-Musik aus dem Walkman aufputscht. Die junge Demonstrantengruppe, zu der auch Katja Hoger gehört, mit der zusammen Marco Schilling schon im Oberstufentheater des Werner-Heisenberg-Gymnasiums Bühnenerfahrung sammelte, bringt ordentlich Schwung ins Musical. Bei der Probe hat Marco Rolf Krämer einmal derart fest angepackt, dass er sich etwas drosseln muss.
Die akustische Überleitung kommt vom Band. An Hintergrundgeräusche vom Laptop ist 1995 noch nicht zu denken. Oliver Schilling hat eine Kassette mit den entsprechenden Geräuschen eingelegt. Er kennt die Laufnummer des Bandes. Bei 18 ist ein Klingelton für einen Anruf für Iwan. Würde er sich vertun, könnte es bei falschen Geräuschen peinlich werden.
Nur der Schuss, der in einem Arbeitslager ertönen soll, kommt nicht vom Band. Bühnentechniker Rudolf Willenbücher hat die Platzpatronenpistole parat, und als der Moment kommt, drückt er ab: Es macht klack und dann noch mal klack. Irgendjemand ruft laut: Peng! – Situation gerettet.
Als der Premierenvorhang fällt, erhebt sich das Publikum; auch der mit Orden geschmückte russische Ehrengast Marschall Kulikow. Was Nadine, Marco, Jasmin und Oliver in diesem Moment noch nicht wissen: Dem ehemaligen Oberkommandeur der Ameen des Warschauer Pakts hat das Musical so gut gefallen, dass er alle nach Moskau einlädt. Und was Kulikow noch nicht weiß: Sie werden kommen.
Jasmin und Markus Schilling mit dem Plakat der Moskau-Vorstellung von „Glasnost“. Vor 25 Jahren wirkten beide als 17-Jährige und 20-Jähriger bei der Uraufführung des Musicals in der Weinheimer Stadthalle im Orchester und auf der Bühne mit. BILD: LENA SCHILLING
Â
Zwei Szenen aus der Uraufführung von „Glasnost“ am 17. Juni 1995 in der Stadthalle. Links der Kinderchor der Grundschule Rippenweier, der die Freundschaft von Iwan und dem Harlekin besingt. Vierte von rechts: Nadine Bitsch (heute Schollenberger). Das Bild rechts zeigt die Szene mir den Demonstranten. Stehend von links: Ulrich Maus, Marco Schilling, Marianne Freiburg und Daniel Krusch. Sitzend: Rolf Krämer (links) und Helmut Schmiedel. BILDER: MARCEL HASÜBERT