Weinheim Kammerchor – Natursehnsucht in Noten

Oktober 2023 (Weinheimer Nachrichten) Im Gespräch: Norbert Thiemel, Leiter des Weinheimer Kammerchors, und Moderator Markus Weber zur Idee des Biedermeier-Konzerts

Von Jürgen Drawitsch

 

Weinheim. Kompositionen von Robert Schumann oder Hugo Distler, des dänischen Komponisten Niels Gade oder des Zeitgenossen Jens Holzinger stehen auf dem Programm eines Konzertes, in dem der Weinheimer Kammerchor am Samstag, 21. Oktober, um 19 Uhr in der Aula der Hans-Freudenberg-Schule in die Zeit des Biedermeiers entführt. Dabei gibt es unter dem Motto „Rückzug in die heile Welt“ vor allem vertonte Gedichte von Eduard Mörike zu hören.

Warum für das Projekt des Chores die Zeit zwischen 1815 und 1848 gewählt wurde und welche gesanglichen Anforderungen gestellt werden, erläutern sein musikalischer Leiter Norbert Thiemel Bild oben links: Fotostudio Fischer) und Rezitator Markus Weber (Archivbild oben rechts: Kathrin Oeldorf), der den Abend moderiert.

Was ist so reizvoll an der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dass vertonte Texte aus dieser Epoche für ein A-cappela-Konzert gewählt werden?

Norbert Thiemel: Die Idee war schon länger gereift, weil sich der Chor gerne mal mit Texten von Eduard Mörike beschäftigen wollte. Er gehört ja zu den bekanntesten deutschen Dichtern. Und die Thematik, die da aufgegriffen wird, hat durch die Zeit der Corona-Pandemie an Aktualität gewonnen.

Markus Weber: Genau das reizt mich besonders an meiner Moderation, nämlich die Leute in die Zeit zu führen. Damals war es sozusagen ein freiwillig gewählter Rückzug ins Private. Diesmal war es durch die drohende Krankheit ein erzwungener Rückzug, als sich die Menschen wieder mehr auf Spaziergänge besannen und die Kraft der Natur bisweilen neu für sich entdeckten.

Thiemel: Diese Natursehnsucht in Noten kommt natürlich in mehreren Liedern zum Ausdruck.

Aber es ist auch ein trügerischer Rückzug.

Weber: Da kann ich nur zustimmen. Damals stand hinter dem Rückzug ins traute Heim auch das Gefühl einer Ohnmacht, demokratische Bestrebungen gegen bestehende Obrigkeit nicht durchsetzen zu können. Heute haben wir es mit einer steigenden Politikverdrossenheit, verbunden mit Ängsten durch Klimawandel, Kriege und Inflation zu tun. Das ist eine gefährliche Melange.

Thiemel: Unser Gesang wird einerseits ein Appell sein, nicht die Augen vor der Realität zu verschließen, aber er macht auch Mut, aus der Natur Lebensenergie und Trost zu schöpfen. Schließlich ist es ja durchaus sinnvoll, sich bei Spaziergängen oder beim Waldbaden Kraft für den Alltag zu holen.

Welche Anforderungen stellt das Programm an den Weinheimer Kammerchor?

Thiemel: Die Stücke erfordern bis zu fünfstimmigen Gesang. Wir proben seit Anfang des Jahres freitags ab 20 Uhr in der Aula des Werner-Heisenberg-Gymnasiums für das Konzert und haben uns Unterstützung durch Stimmbildnerin Jula Birke geholt.

Sind alle Stimmlagen gut besetzt?

Thiemel: Der Sopran ist am stärksten besetzt. Obwohl in anderen Stimmlagen auch weitere Sängerinnen und Sänger sehr willkommen sind, ist der Weinheimer Kammerchor insgesamt solide aufgestellt. Wir sind ein semiprofessioneller Chor, der auch die bevorstehenden Aufgaben beim Biedermeier-Konzert gut meistern und für einen gesanglich schönem Abend sorgen wird.

Begleitet von einer einfühlsamen, erläuternden Moderation.

Weber: Die Zusammenarbeit mit dem Weinheimer Kammerchor hat mir auch in der Vergangenheit bei „Jahreszeiten in Gedicht und Musik“ oder beim Programm „Totentanz“ mit Kompositionen von Hugo Distler viel Freude bereitet. Jetzt freue ich mich darauf, Gedichte von Eduard Mörike zu rezitieren, und werde sogar das Gedicht „Ein Stündlein vor dem Tag“ erst in Hochdeutsch und dann in Woinemer-Mundart vortragen.

  • „Rückzug in die heile Welt“: Biedermeier-Gedichte mit erstaunlichen Parallelen zu heute, Konzert des Weinheimer Kammerchors, Samstag, 21. Oktober, 19 Uhr, Aula der Hans-Freudenberg-Schule. Vorverkauf (10 Euro): Buchhandlung Beltz im Atrium und Musikhaus Metz in der Grundelbachstraße.