Oktober 2020 Volker Schneider, einer der großen Dirigenten der Region, zieht Konsequenz aus der Corona-Zeit
Hirschberg/Region. Volker Schneider ist einer der großen Dirigenten der Region. Eine Liga mit Gerhard Wind, Alfons Burkhardt, Franz-Josef Siegel, die alle nicht mehr leben, oder dem Ladenburger Dietrich Edinger. Vor Corona leitet er 18 Chöre in der gesamten Region zwischen der Bergstraße und Mannheim-Neckarau. Sein aus 51 Jahren Erfahrung als Dirigent gespeistes Fazit für die Zeit nach Corona ist eindeutig: „Es wird ein großes Chorsterben einsetzen“. Und auch für ihn – diese Sensation für den regionalen Chorgesang fügt er fast beiläufig an – hat das Konsequenzen: „Ich werde nicht mehr neu anfangen“.
Wir sitzen in coronagemäßem Abstand in Schneiders Wohnzimmer im Leutershausen. Der Blick fällt auf das Graf von Wisersche Schloss direkt daneben, denn Schneider bewohnt seit 13 Jahren das Gebäude des ehemaligen gräflichen Rentamtes. Historie, wohin man blickt. Und auch er selbst ist personifizierte Musikgeschichte der Region.
Schneider ist seit 51 Jahren Chorleiter. Viele seiner Chöre hat er zwei, ja drei Jahrzehnte lang. „Kein Abend an einem Werktag ohne eine Chorprobe“, sagt der 73-Jährige. An manchen sind es drei hintereinander. Seine letzte Singstunde hatte er Mitte März. Seitdem herrscht bekanntlich Stille in allen Proberäumen.
„Wem man davon ausgeht, dass erst im nächsten Jahr wieder regulär geprobt werden kann“, sagt Schneider, „dann haben die Chöre mehr als ein Jahr lang nicht geübt. Das werden viele nicht überleben“. Viele der Älteren, und sie stellen die überwiegende Mehrheit der Aktiven, werden nicht mehr kommen, weil sie nach wie vor Sorge haben vor einer Ansteckung. Andere wollten seit Langem aufhören, trauten sich jedoch nicht, weil sie sich eine Zeit ohne Chorprobe nicht vorstellen konnten: „Die jetzige Zwangspause zeigt ihnen, dass es geht“. Und die, die zurückkommen: Nach langen probelosen Zeit wird es dauern, sie wieder auf das auftrittsfähige Niveau vor Corona zu bringen.
Das wiederum wird tiefgreifende Veränderungen im Chorgesang mit sich bringen, sagt Schneider voraus: „Die Situation mit einem oder mehreren Gesangsvereinen in jedem noch so kleinen Ort, die ja kennzeichnend war für Deutschland, wird der Vergangenheit angehören“, ist er überzeugt: „Die Entfernungen für die, die singen wollen, werden größer.“ Das sei in anderen Ländern schon lange so: „In Schweden oder Ungarn müssen die Sänger 50 Kilometer zu ihrer Probe fahren. Und das machen sie. Und das wird auch bei uns so kommen“, glaubt Schneider.
Denn natürlich werde es weiter Menschen geben, die im Chor singen wollen. Und das sei für das Genre auch eine Chance: „Die Professionalität wird größer“. Doch die soziale Funktion, gerade für ältere Menschen, werde abnehmen. Und das tut Schneider, der sich diesem Bereich verschrieben hat, schon weh.
Das aktuelle digitale Proben ist nichts für ihn. „Das ist nicht meine Welt“, bekennt er. „Ich habe auch nur ein Notfall-Handy“, lacht er. Das individuelle Proben und Zusammenschalten per Video – „das widerspricht vollständig dem, was ich in 50 Jahren Engagement für den Laienchor-Gesang vertreten habe“. Für ihn ist der persönliche Kontakt zu den Singenden immer entscheidend. Um mit ihnen zu kommunizieren, spielt er auch am Klavier nie nach Noten. Das war schon in seiner Zeit als Lehrer so: Bei mir wurden keine Papierschwalben gebaut.“
So nimmt er die aktuelle Zwangspause zum Anlass für eine Neuorientierung: 51 Jahre kein Abend frei, an den Wochenenden immer Auftritte und Konzerte – sicher unvergesslich schöne Stunden, gerade das renommierte „Glasnost“-Projekt in den 1990er-Jahren und die Konzertreisen von Rom bis Moskau, aber in ihrer Unerbittlichkeit auch Anstrengung. „Hat nicht einmal wegen Krankheit gefehlt“, ergänzt seine Frau.
Bereits im vergangenen Herbst kündigte Schneider daher an, mit dem Ruhestand seiner Frau im Jahre 2022 aufzuhören. „Von da an hatte ich Sorge, ob das auch klappt“, sagt er. Dass er sich nicht überreden lässt nach dem Motto: nur noch das anstehende Konzert abwarten; nur noch warten, bis der bisherige Vorsitzende aufhört; warten, bis ein neuer Dirigent gefunden ist. „Die jetzige Kriese macht es für mich einfacher“. Doch Schneider sagt auch: „Ich höre nicht auf, Ich fange nicht neu an“.
Zumindest gilt das für den Chorgesang. Ein großes Projekt hat Schneider allerdings noch. Und dann will er sich endlich Zeit nehmen für das, was er schon lange vorhat: Sein Leben zu Papier zu bringen – als Lehrer, Schulleiter und Dirigent, ein Leben im 45-Minuten-Takt. Ein Datum für die Veröffentlichung schwebt ihm vor: sein 75. Geburtstag im Dezember 2021.
Volker Schneider in seinem Element: Der Petersburger Kinderchor gratuliert ihm Ende 2016 zu seinem 70. Geburtstag. BILD: DIETER KOLB