Mai 2022 (Weinheimer Nachrichten) Konzert: Der Konzertchor Cantus Vivus und das Kammerorchester der Kurpfalzphilharmonie würdigen Musik von Johann Sebastian Bach
Weinheim. Der Maler August Macke hat die Wucht und den Reichtum der Musik von Johann Sebastian Bach 1912 in expressiven Farben auf seinem Bild „Hommage á Bach“ zum Ausdruck gebracht. 110 Jahre später ziert es das Programmheft eines Konzertes, das die Vielfalt der Kompositionen des Giganten und nachfolgender Komponisten, die sich auf Bach bezogen, beispielhaft würdigte. Die Zuhörer spürten die Energie in der St.-Laurentius-Kirche am Sonntagabend bis in die Haarspitzen. Viele Sekunden, die sich gefühlt zu einer Minute ausweiteten, blieb es am Konzertende in der mit rund 300 Besuchern besetzten Kirche mucksmäuschenstill.
Der Konzertchor Cantus Vivus hatte sich für den krönenden Schlusspunkt „Immortal Bach“, einer Komposition des Norwegers Knut Nystedt nach dem Choral „Komm süßer Tod“, in drei Gruppen rund um das Kammerorchester der Kurpfalzphilharmonie postiert. Gemeinsam zauberten die über 40 Sängerinnen und Sänger zusammen mit dem Orchester ein stehendes Klangbild in den Kirchenraum, ein sphärisch anmutendes Musikerlebnis, das der Unsterblichkeit Bach’scher Tonkunst Ausdruck verlieh. Den folgenden, minutenlangen Schlussapplaus, dem als Zugabe der Choral „Jesus bleibet meine Freude“ folgen sollte, hatten sich die Interpreten mit einem durch und durch
überzeugenden Konzert mehr als verdient. Regelrecht atemberaubend war dabei die Leistung von Wolfram Schmidt.
Der musikalische Leiter überzeugte nicht nur als zupackender wie tiefgründiger Dirigent. In mehreren Stücken wechselte er auch fließend und hoch konzentriert vom Dirigentenpult zum Tasteninstrument, an dem er seine solistischen pianistischen Fähigkeiten in das Programm „Hommage á J. S. Bach“ einbrachte.
Schon bei der Eröffnung des Konzertes wurden in Johann Georg Albrechtsbergers „Fuge über B-A-C-H g-Moll op. 3“ Erlösung und Freude, Glanz und Kraft sowie Ruhe und Erhabenheit spürbar, die in Bachs kompositorischen Nachfolgern sozusagen nachwirkt. Schließlich ging es Wolfram Schmidt zusammen mit Cantus Vivus bei dem Konzert, das die Corona-Zwangspause beendete, auch darum, zu zeigen, welchen Chor- und Instrumentalansätzen spätere Musikschöpfer folgten und auf diese Weise bestätigten, dass an Bach kaum einer vorbeikommt.
Dass in Bach sogar viel Jazz steckt, ist hinlänglich bekannt und wurde diesmal durch Variationen der Jazz-Pianisten Jacques Loussier und Eugen Cicero über das Präludium Nr. 1 dokumentiert. Im Schmelztiegel von Stilen und Genres waren plötzlich swingende Streicher und ein im Ave Maria schwelgender Chor zu hören. Das Hauptwerk des Konzertes, die Motette „Jesu meine Freude“ vom Altmeister, stellte man gleich als zweiten Beitrag an den Anfang des Programms. Bei der von Chorälen, Choralvariationen und Vertonungen von Bibelversen symmetrisch eingebetteten fünfstimmigen Doppel-Fuge ließ Cantus Vivus die herausragende Stimmqualität und Disziplin seiner Sängerinnen und Sänger hören.
Die lang gezogenen Koloraturen beim Wort „geistlich“ in der Doppel-Fuge waren ebenso perfekt gesetzt wie die Pause, die im Bibelvers „Es ist nun nichts Verdammliches“ das „nichts“ betont. Bei Eingangschören der beiden Kantaten „Was mein Gott will, das g’scheh‘ allzeit“ und „Allein zu dir, Herr Jesu Christ“ wurde den Zuhörern sozusagen purer Bach kredenzt, ehe eine Bearbeitung des Präludiums Nr. 22 durch den brasilianischen Komponisten Heitor Villa-Lobos folgte. Bei diesem Klagegesang, mit dem sich Sänger und Musiker in Respekt und Mitleid vor den Opfern des schrecklichen Krieges in der Ukraine verneigten, mutete der Gesang wie Wellen an, die sich über Schrecken und Ohnmacht ergießen. So zeigte dieses Konzert in unterschiedlichen Stilformen sowohl die Vielfalt der Musik von Johann Sebastian Bach als auch von Komponisten, die ihm zeitlich folgten. Inspirierend und berührend folgte, ein Werk dem nächsten, und auch Wolfram Schmidt wollte als musikalischer Leiter an diesem Abend als Komponist nicht tatenlos bleiben.
Zwischen Tragik und Trost
Sein B-A-C-H-Thema mit Variationen für Klavier und Kammerorchester war eine verzaubernde, melodisch fein durchwirkte Hommage, die sich bei aller Harmonie jegliche Süßlichkeit verbot, sondern zwischen Tragik und Trost Hoffnung verbreitete, die in diesen Tagen unverzichtbarer denn je erscheint. dra