Weinheim Kammerchor – Kammerchor begeistert mit Poesie

Oktober 2023 (Weinheimer Nachrichten) Aula der Gewerbeschule: Dr. Markus Weber nimmt mit auf musikalisch-historische Reise durch Biedermeier und Romantik

 

Weinheim. Die Zuschauer des gut besuchten Kammerchor-Konzertes in der Aula der Gewerbeschule begaben sich auf einen musikalisch-historischen Ausflug. Zurück in eine Zeit, in der Komponisten wie Robert Schumann, Hugo Distler und Robert Fuchs ihre Lieder nach Gedichten von Karl Lappe, Eduard Mörike und Robert Reinick schrieben.

Reiseführer war Kabarettist und Sprachwissenschaftler Dr. Markus Weber, der sich am Samstagabend wieder darauf verstand, sein Publikum auf unnachahmlich sensible und gleichzeitig unterhaltsame Art und Weise an die Hand zu nehmen.

Rückzug in die Wohnstube

Der Weinheimer Kammerchor unter der Leitung von Norbert Thiemel ergänzte als wunderbar homogener Klangkörper das jeweilige aus dem Gedicht entstandene Lied, das Weber ausdrucksstark rezitierte, nachdem er mit launigen Worten die Zeit beschrieb, in der es entstand, und geschickt parallelen zum Heute herstellte. Es war die Zeit des Biedermeiers von 1815 bis 1848, in der sich die Bürger in ihre behaglichen Wohnstuben zurückzogen. Es war aber auch die Zeit des Wiener Kongresses 1814 sowie der Märzrevolution 1848. Diesen damals frei gewählten Rückzug in die häuslichen vier Wände verglich er mit dem zwanghaften Rückzug, den der Lockdown vor drei Jahren darstellte.

Aber auch nach Corona verkrieche man sich gerne in sein gemütliches Zuhause, denn die steigenden Ängste vor Klimawandel, Kriegen und Inflation wecken vermehrt den Wunsch nach Geborgenheit. Eduard Mörike, einer der bekanntesten deutschen Poeten, beschreibt in seinem Gedicht „Ein Stündlein wohl vor Tag“ diese eine kostbare Stunde, bevor der Tag beginnt, untermalt von dem Gesang einer Schwalbe. Kleine Höhepunkte schuf Weber, als er die berühmten Verse ins Woinemerische „übersetzte“

Glücklich konnten sich die zahlreichen Zuhörer dann schätzen, als sie das Mörike-Gedicht in der Vertonung von Robert Fuchs klangschön, wendig und ausbalanciert hörten, wie es ihnen der 25-köpfige A-capella-Chor präsentierte. Leiter Norbert Thiemel erzählte kürzlich in einem Interview mit unserer Redaktion, dass er die Stücke, die bis zu fünfstimmigen Gesang erfordern, schon seit Anfang des Jahres mit dem Chor probe.

Das exzellente Resultat konnte man am Samstagabend erleben. Bei aller Vielstimmigkeit blieb der Klang des A-cappella-Chores immer geschlossen und klar – einfach wohlklingend. Das Lied „Nord und Süd“ von Robert Schumann, einer der bedeutendsten Komponisten der Romantik, entstand 1846 aus einem Gedicht von Karl Lappe.

Die dritte Strophe mit dem Vers „Recht der Befehl, und wir gehorchen recht“ war durch ihre politische Aussage eine Zeit lang recht umstritten, so Markus Weber. Mit technischer Perfektion gelang es dem gemischten Chor auch hier, auf jede Geste Norbert Thiemels einzugehen. Die Vokalisten entwickelten mal zarte Leichtigkeit, mal eine bewegende stimmliche Kraft mit dynamischem Feingefühl.

So mancher Zuschauer hätte ihn sich so kurz vor Winterbeginn zurückgewünscht, den Frühling, den Eduard Mörike in seinem Gedicht „Er ist’s“ mit stilistischer Feinheit so wunderbar beschreibt. Es war ein Genuss, dieses Gedicht von Markus Weber zu hören, dessen Plauderton, mit dem er durch den Abend führte, ebenfalls eine gewisse Lyrik besaß.

Die Kunst des Nachspürens von den Zeilen „Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte“, in der Vertonung von Hermann Göetze, setzte der Chor perfekt ausmoderiert mit klarer Intonation in seinem melodischen Gesang um. Ebenfalls aus der Feder Eduard Mörikes ist das Gedicht „Um Mitternacht“.

Es wurde an diesem Abend in zwei verschiedenen Vertonungen vorgestellt. Hier lässt die Nacht den ewigen Fluss der Zeit vergessen. Im Gegensatz zu der eher ruhigen, harmonischen Vertonung von Hugo Distler hat der 1978 geborene Jens Holzinger aus Mörikes Gedicht einen Tango komponiert. Mit technischer und stilistischer Perfektion verwandelte der Kammerchor die Nacht in dieser Version zum bewegten Lebenstanz in Vierachteltakt des Tangos.  Langanhaltenden Applaus gab es am Ende für den sensibel präsentierten poetischen Rückzug in die heile Welt der Biedermeier-Gedichte.